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Aktionskunst
Aktionskunst in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart
Aktionskunst ist per se nicht negativ zu verstehen. Es geht vielmehr darum, das museal bzw. institutionell entrückte Kunstwerk durch eine künstlerische Aktion zu verlebendigen und in den Fokus des gesellschaftlichen Interesses zu rücken. Künstler und Publikum sollen über die Aktion an einem Objekt in ein neues Spannungsverhältnis gebracht werden. Die herkömmliche Trennung zwischen Kunst und Betrachter wird dabei bis zu einem gewissen Grad aufgelöst. Kunst und Leben sollen miteinander verbunden werden.
Das Spannende in der Aktion von Edgar Harwardt und dem Fotografen und Inszenierungskünstler Jost Schrader liegt in der formal-ästhetischen Gestaltung ihrer 9-teiligen Bildsequenz.
In seiner, aus einer anfänglichen Distanz vollzogenen langsamen, schrittweisen, respektvollen Annäherung an das kulturgeschichtlich bedeutsame Objekt der Gutenberg-Bibel (die ersten 5 Bilder) und in seiner "Verbeugung" vor der Bibel (nächste 3 Bilder), die in der Sinneswahrnehmung des Hineinhörens (letztes Bild) gipfelt, erweist Harwardt dem "Alten Buch" genau jene Ehrerbietung, die diesem heutzutage gerne von gewissen politischen Entscheidungsträgern versagt wird.
Die strenge formal-ästhetische Gestaltung der einzelnen Bilder der Sequenz könnte als Handlungsanweisung zu einem respektvollen Umgang mit Kulturgütern verstanden werden. Harwardt durchbricht den gewohnten Blickwinkel "auf" das Kulturobjekt Buch, indem er eine Verschiebung der Perspektive vornimmt. Die alltägliche Umgangsweise mit einem Buch geschieht von oben herab. Der Benutzer blickt auf das vor ihm aufgeschlagene Buch nieder, er begibt sich i.d.R. nicht wie Harwardt auf gleiche Augenhöhe mit dem Objekt.
Die Kamera, die die Aktion festhält, nimmt genau jenen Blickwinkel ein, den der Betrachter vor dem Buch einnehmen soll: Das aufgeschlagene Buch liegt auf Augenhöhe des Betrachters, der über den Standpunkt der Kamera bereits unbewusst in die Position versetzt worden ist, die Harwardt in seiner schrittweisen Aktion vollzieht. Der Fotokünstler - und damit unbewusst der Betrachter - ist hierfür vor dem Buch "in die Knie gegangen". Im übertragenen Sinn kommt dies einem Kniefall vor der Kulturleistung der Erfindung des Buchdrucks gleich.
Mit der sinnlichen Annäherung an das Kulturobjekt weist Harwardt dem Betrachter einen Zugang zur Kunst, der allgemeingültig ohne Vorwissen und für jedermann nachzuvollziehen ist. Schließlich sind die Sinne, mit denen wir die Außenwelt wahrnehmen, die Grundlage zum Verstehen - jenseits allen intellektuell erworbenen Wissens.
Da Objekte als Gebrauchsgegenstände keine Stimme haben, braucht es Menschen, die sich ihrer annehmen, ihnen Raum und Ort verleihen, ihnen zuhören, in sie hineinhören, ihnen eine Stimme geben. Dies macht Harwardt durch seine Aktion.
Christiane Rambach, Württ. Landesbibliothek
Oktober 2006