Gefährdung von Transporten mit
Kriegsgefangenen, Internierten und Flüchtlingen
und Unterlassung von Hilfeleistung

 ATHENIA (GB)  VENIER (IT)  VAN IMHOFF (NL)  STRUMA (RO)
 LACONIA (BR)  LISBON M. (JP)  ORIA u.a. (D)  RAKUYO M. (JP)

Die Schilderung der Einzelfälle  

3.9.1939
Nordatlantik

U
30 (Oblt.z.S. Lemp) sichtet südlich der Rockall-Bank den brit. Passagierdampfer Athenia (13581 BRT) und torpediert ihn. Von dem sinkenden Schiff werden durch die herankommenden britischen Zerstörer Electra und Escort, das norwegische Motorschiff Knute Nelson, den amerikanischen Dampfer City of Flint und die schwedische Jacht Southern Cross etwa 1300 Überlebende gerettet, 112 Menschen kommen ums Leben. Durch diese erste — warnungslose — Versenkung entsteht bei der britischen Admiralität der Eindruck, dass Deutschland einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg begonnen habe. Auf deutscher Seite wird der Angriff zunächst lange Zeit abgestritten, dann wird behauptet, der U-Boot-Kommandant habe die Athenia für einen Hilfskreuzer gehalten. Dabei waren britische Hilfskreuzer im September 1939 erst in der Ausrüstung und waren, im Unterschied zu deutschen Absichten, als Geleitfahrzeuge vorgesehen. Für kurze Zeit werden auf deutscher Seite nach Versenkung der Athenia einschränkende Weisungen für die Handelskriegführung erlassen. So verbietet Hitler persönlich alle Angriffe auf Passagierschiffe. (SOS-Schiffsschicksale Nr.97)

9.— 15.12.1941
Mittelmeer
Das brit. Unterseeboot Porpoise (Cdr. Pizey) torpediert am 9.12. das mit 2000 Gefangenen auf dem Rückmarsch von Bengasi befindliche Motorschiff Sebastiano Venier (6311 BRT), obwohl Bletchley Park rechtzeitig Informationen über den Einsatz des Schiffes als Gefangenentransporter lieferte. Trotz schweren Wetters kann das Lazarettschiff Arno 1800 Schiffbrüchige retten. Aber 309 britische und 11 italienische Soldaten verlieren ihr Leben. Am 15.12. versenkt das brit. U-Boot Torbay den Havaristen (Alberto Santoni, S.240-244).

19.— 20.1.1942
Indischer Ozean

Westlich von Sumatra versenkt ein japanisches Flugzeug den niederländischen Frachter Van Imhoff (2980 BRT) in der Annahme, dass es sich um einen Truppentransporter handelt. Tatsächlich aber befinden sich keine Truppen an Bord, sondern 478 deutsche Zivilinternierte und eine Besatzung von 110 Holländern. Als die Van Imhoff sinkt, geht der holländische Kapitän Hoeksema mit seiner Mannschaft in die Rettungsboote. Den Deutschen dagegen wird unter Androhung der Erschießung verboten, den Booten nachzuspringen. Dann entfernten sich die Holländer im Schlepp eines Motorbootes. Die meisten Deutschen gehen mit dem Frachter unter. Wenige Überlebende, die sich auf kleine Boote und Flöße retten können, werden am nächsten Tag von einem Flugboot der niederländischen Marine gesichtet, das den holländischen Dampfer Boelongan herbeiruft. Als dessen Kapitän Berveling erfährt, daß es sich bei den Schiffbrüchigen ausschließlich um Deutsche handelt, dreht er ab, ohne auch nur der Bitte um Trinkwasser und Verpflegung zu entsprechen. Nur 12 Deutsche können sich auf eine Insel retten, die übrigen sind ertrunken.

Später stellt sich heraus, dass niederländ. Marinedienststellen auf Sumatra die Kapitäne der Evakuierungsdampfer angewiesen haben, deutsche Schiffbrüchige nicht zu retten. Eine von der niederländischen Justiz eingeleitete Voruntersuchung wird 1956 ergebnislos eingestellt. Angeblich war kein Grund für einen Strafantrag zu finden.

24.2.1942

Schwarzes Meer

Bei Operationen gegen den Schiffsverkehr der Achsenmächte vor dem Bosporus versenkt das sowj. U-Boot Shch-213 (Oblt. D.M. Denezhko) den unter Panama-Flagge fahrenden bulgarischen. Dampfer Struma mit 764 jüdischen Flüchtlingen an Bord, von denen nur ein einzelner Überlebender gerettet wird. Das Schiff war am 12.12. von Konstanza mit 769 Flüchtlingen aus- und am 16.12. in den Bosporus eingelaufen. Weder die Landung der Flüchtlinge noch die Weiterfahrt des Schiffes wurde von den türkischen Behörden gestattet, da die brit. Mandats-Regierung von Palästina keine Einwanderervisa bewilligte. Nur 5 Flüchtlinge durften an Land. Am 24.2. zwingen die türkischen Behörden das Schiff zum Auslaufen ins Schwarze Meer. (Jürgen Rohwer).

12.— 17.9.1942
Südatlantik
Am 12.9. versenkt U 156 (KKpt. Hartenstein) nordöstl. Ascension den brit. Truppentransporter Laconia (19.695 BRT) mit 1800 ital. Kriegsgefangenen an Bord. U 156 beginnt sofort mit der Rettung und fordert in einem unverschlüsselten Funkspruch alle in der Nähe befindlichen Schiffe zur Hilfeleistung auf. Der BdU setzt U 507 (KKpt. Schacht) und U 506 (Kptlt. Würdemann) sowie das ital. U-Boot Cappellini (Kptlt. Revedin) an, die am 15. und 16.9. eintreffen und bittet auf diplomatischem Wege die franz. Marine in Westafrika um Unterstützung. Auf die Meldung hin werden aus Freetown das brit. Handelsschiff Empire Haven und aus Takoradi der Hilfskreuzer Corinthian eingesetzt.

Ein Liberator-Bomber der 343rd Bombardment Sqn. USAAF (F/Lt. Harden) sichtet bei einem Aufklärungsflug die U-Boote. Diese haben inzwischen eine große Anzahl von britischen, polnischen und italienischen Schiffbrüchigen an Bord bzw. mit ihren Rettungsbooten in Schlepp genommen, um den Treffpunkt mit den franz. Schiffen anzusteuern. F/Lt. Harden erbittet über Funk Rücksprache mit dem Einsatzleiter der für ihn zuständigen Einheit. Der Kommandeur der amerik. 1st Composite Air Sqn. auf Ascension, Hptm. Richardson, der das FT von U 156 nur verstümmelt empfangen hat und über die Rettungsaktion der U-Boote angeblich nicht informiert ist, erteilt einen Angriffsbefehl und die Liberator belegt trotz der erkennbaren Notsituation und der Rotkreuzflaggen U 156 mit Bomben. Das U-Boot muss abtauchen, übergibt die Schiffbrüchigen an die Rettungsboote und kappt die Schleppleinen. Am 17.9. treffen die auf Weisung der Vichy-Regierung in See geschickten Kreuzer Gloire, Aviso Dumont d'Urville und Minensucher Annamite ein und übernehmen von den dt. U-Booten und aus Rettungsbooten 1041 Überlebende, Dumont d'Urville am 16.9. von Cappellini weitere 42 Mann. Doch der erbarmungslose Flugzeug-Angriff hat Folgen für die Kriegführung. Am 17.9. ergeht Befehl des B.d.U Admiral Dönitz an alle dt. U-Boote, dass die Rettung Schiffbrüchiger an Bord von U-Booten in Zukunft zu unterbleiben habe (»Laconia«-Befehl).

27.9.— 2.10.1942
Nordpazifik
Der Frachter Lisbon Maru (7053 BRT) verläßt am 27.9. Hongkong mit 1816 gefangenen Alliierten und 778 verwundeten Japanern. Er ist allerdings weder als Verwundetentransporter noch als Gefangenentransporter deklariert oder markiert. In der Nacht zum 1.10. torpediert das amerik. U-Boot Grouper (LtCdr Duke) den Transporter, der aber nicht sogleich sinkt. Der japanische Zerstörer Kuri und der Transporter Toyokuni Maru übernehmen am 2.10. die Verwundeten, die Kriegsgefangenen bleiben dagegen in den Laderäumen eingesperrt und müssen in dem sinkenden Schiff ertrinken. (Tony Bridgeland, S. 195-211)

23.9.— 19.10.1943
Mittelmeer
Am 8. September 1943 schließt Italien Waffenstillstand mit den Alliierten. Auf Kreta, Rhodos und anderen Inseln geraten Tausende von Italienern in deutsche Gefangenschaft. Aus Sicht der deutschen Führung stellen sie eine latente Aufstandsgefahr und ein enormes Versorgungsproblem, aber auch ein nutzbares Arbeitspotential dar. Daher wird versucht, sie möglichst schnell auf das Festland zu transportieren. Hitler selbst befiehlt, "alle Sicherheitsbestimmungen hinsichtlich zahlenmäßiger Beschränkungen Mitfahrender haben zu entfallen, ohne Rücksicht auf Verluste sei der Platz bis zum Äußersten auszunützen". Der verantwortliche Admiral Ägäis, Vizeadmiral Lange, setzt diese Befehle gegen den Widerstand von Heeresgeneralen auf Rhodos und Leros, die dieses Vorgehen "völkerrechtswidrig" nennen, durch und erhält für sein entschlossenes Vorgehen das Ritterkreuz. Die Transporte führen zu schweren Verlusten. Am 23.9. versenken britische Zerstörer südlich von Rhodos den Dampfer Donizetti (2428 BRT) mit 1576 Gefangenen an Bord, niemand überlebt. Am 28.9.1943 sinkt der Frachter Ardena (1092 BRT) mit 840 Gefangenen auf dem Weg von Kephallenia zum Festland südlich von Argostoli durch Luftminentreffer, 720 italienische Gefangene kommen dabei um, darunter viele Soldaten der Division „Acqui“, die nur knapp dem vorausgegangenen Massaker durch deutsche Soldaten auf Kephallenia entgangen sind. Am 19. Oktober versenken britische und US-Flugzeuge nördlich von Souda den Dampfer Sinfra (4470 BRT), von 2389 Gefangenen an Bord werden nur 539 gerettet. Im Seegebiet zwischen Kephallenia und dem Festland sinken 2 kleine Frachter auf aus der Luft gelegten Minen, im Hafen von Korfu ein weiterer bei einem Luftangriff, dabei kommen insgesamt vermutlich etwa 2600 weitere Gefangene um. (Forts. 8.-12.2.44).

8.— 12.2.1944
Mittelmeer

Westlich des Kaps Sounion liegt die kleine Insel Gaidhouroniso. An ihrer Südostküste ereignet sich im Februar 1944 die wohl größte Schiffahrtskatastrophe im Mittelmeer. Seit Anfang 1944 wird die Versorgungslage auf den Inseln wegen der erfolgreichen alliierten Angriffe auf die deutschen Transportschiffe immer kritischer. Daher werden die Abtransporte italienischer Kriegsgefangener (s. 23.9.-19.10.43) wieder aufgenommen. Am 8. Februar versenkt das britische Unterseeboot Sportsman den Dampfer Petrella nördlich von Suda (Kreta) mit 3173 italienischen Gefangenen an Bord, von denen 2670 umkommen, auch weil die Wachmannschaften, wie schon auf der Sinfra, die Zugänge zu den Gefangenenräumen nicht öffnen und, als diese ausbrechen, sie mit Waffengewalt daran hindern, die Boote zu besetzen.

.
.
Italienische Gefangene auf dem Weg zur Internierung.
Zynischer Kommentar der Propagandaabteilung.

Am 11.2. läuft auch die Oria (2127 BRT) im Geleit von 3 deutschen, ehemals italienischen Torpedobooten von Rhodos nach Piräus aus. Nach unterschiedl. Quellenangaben sind ca. 4160 - 4190 Gefangene an Bord. Am Morgen des 12. 2. kommt ein Südweststurm mit Stärke 8-9 auf, das Geleit marschiert, obwohl die veralteten Torpedoboote an den Rand einer Seenotlage kommen, nach Westen in Richtung Piräus weiter, weil diese Wetterlage die gefürchteten Angriffe von Flugzeugen und Unterseebooten praktisch unmöglich macht. Am Nachmittag des 12.2. passieren die Schiffe die Meerenge zwischen den Inseln Serifos und Kythnos und können beim Leuchtfeuer Kythnos eine Standortbestimmung machen. Nach Sichten des Kaps Sounion gegen 1800 Uhr drehen die Geleitboote auf Westkurs, um vom Sturm nicht in gefährliche Nähe zur Küste gedrückt zu werden. Der Kapitän der Oria läuft mit seinem Schiff jedoch trotz gegenteiliger, wiederholter Befehle des Geleitkommandeurs auf kürzestem Weg weiter. So gerät das Schiff im Dunklen gegen 18.45 Uhr an der Südostecke von Gaidhouroniso auf Grund. Da auf den Torpedobooten im Sturm alle Funkgeräte ausgefallen sind, können Hilfsmaßnahmen erst beim Einlaufen der Boote in Piräus, Stunden später, eingeleitet werden. Zu dieser Zeit ist das Schiff bereits auseinandergebrochen. Betreffs der Überlebenden werden in den Akten unterschiedliche Zahlen genannt, die höchste (!) Angabe ("Seetransportstelle Ägais") nennt 6 Wachmannschaften, 7 Besatzungsmitglieder, darunter der Kapitän, der nun einen Navigationsirrtum zugibt, und 49 (!) gerettete Italiener. Es kommen also mehr als 4100 Menschen beim Untergang der Oria ums Leben.

Aus den Akten ist nicht nachvollziehbar, ob der Kapitän zur Verantwortung gezogen wurde. Gegen den Geleitführer, der unter den gegebenen Umständen das Menschen Mögliche tat, um das Unglück abzuwenden, wurde ein kriegsgerichtliches Verfahren eingeleitet, er wurde einige Tage später wegen Nervenversagens abgelöst, weitere Angaben waren nicht zu ermitteln. Insgesamt kommen bei den Transporten etwa dreizehntausend italienische Soldaten um. (Gerhard Schreiber). 

.

6.— 17.9.1944
Südwestpazifik
Im Sommer 1944 werden aus versch. japan. Kriegsgefangenenlagern in Siam und Malaysia 10.000 australische und britische Kriegsgefangene zusammen geführt, um sie über Saigon nach Japan zu bringen. Anfang September werden die ersten 2.218 Kriegsgefangenen in die Landeräume von 2 Frachtern gepfercht, 1318 an Bord der Rakuyo Maru (9418 BRT) und 900 zusammen mit mit einem Transport verwundeter japan. Soldaten und Passagieren an Bord der Kachidoki Maru (10.509 BRT, ex am. President Harrison).

Auf amerikanischer Seite wird zur gleichen Zeit ein japanischer Funkspruch, der über die genaue Route eines wichtigen japanischen Konvois mit 6 Schiffen nebst Geleitschutz von Singapore nach Japan Mitteilung gibt, aufgefangen und dechiffriert. Daraufhin wird mit 5 amerikanischen U-Booten (Growler, Pampanito, Barb, Queenfish und Sealion) ein Vorpostenstreifen gebildet, um den Konvoi mitten im Südchinesischen Meer (etwa auf Position 10°40'Nord / 115°Ost) abzufangen und zu versenken.

In der Frühe des 12. September läuft der Konvoi wie erwartet ins Zielgebiet. Growler versenkt zuerst den voraus laufenden Zerstörer Shikinami. Später torpediert Sealion einen Tanker und versenkt die beiden Transporter Nankai Maru (8416 BRT) und Rakuyo Maru. Der Konvoi löst sich auf, die Schiffe flüchten in verschiedene Richtungen. Da die Rakuyo Maru sich auf einer Ladung Gummi noch einige Stunden über Wasser hält, gelingt es auch den Gefangenen, sich aus den Laderäumen zu retten und das Schiff zu verlassen. Die im Wasser schwimmenden Schiffbrüchigen warten aber stundenlang vergeblich auf Rettung. Am Nachmittag laufen eine japan. Fregatte und ein Frachter im Unglücksgebiet ein. Sie übernehmen allerdings nur japanische Besatzungsmitglieder.

Am frühen Abend erfasst Pampanito östlich von Hainan den wieder aufgesammelten Konvoi mit 4 Handelsschiffen und 4 Geleitschiffen und versenkt den Transporter Kachidoki Maru und den Tanker Zuiho Maru (5135 BRT). Die Kachidoki Maru sinkt schnell und reißt 300 brit. Kriegsgefangene sowie 400 japan. Passagiere und Besatzungsmitglieder mit in die Tiefe. Erst 24 Stunden später, am Abend des 13.9., nähern sich eine japan. Fregatte und eine Trawler der 2. Unglücksstelle und nehmen ca 350 überlebende Japaner wie auch alliierte Kriegsgefangene auf.

Drei Tage nach der Geleitzugschlacht sichtet Pampanito in seinem Operationsgebiet ein Rettungsfloß der Rakuyo Maru und findet darauf überlebende Kriegsgefangene. Erst jetzt erfahren die U-Boot-Männer von der Katastrophe. In einer gemeinsamen Aktion gelingt es Pampanito und Sealion am 15.9. noch 127 Überlebende, Barb und Queenfish am 17.9. weitere 32 Überlebende zu retten (Tony Bridgeland, S. 156-194).